IFG-Anfrage Nr. 28: STIKO-Interessenkonflikt / Stand: Feb. 2009

Welche möglichen Interessenskonflikte haben die Mitglieder der "Ständigen Impfkommission" (STIKO) gegenüber dem Bundesgesundheitsminister angegeben?


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Email vom 21. September 2006 an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG):

Die Mitglieder der STIKO und die Leiter der Bundesgesundheitsbehörden RKI und PEI tragen erhebliche Verantwortung. Ihre Entscheidungen beeinflussen maßgeblich einen Markt, der mehrere hundert Milliarden Euro Umsatz umfasst. Zwangsläufig stehen sie im Mittelpunkt sowohl des gesundheitlichen Interesses der Krankenversicherten, der Finanzpolitik und nicht zuletzt der Lobbyarbeit der betroffenen Industrie.

Der Auftrag der STIKO und der Gesundheitsbehörden wie RKI und PEI ist eindeutig die Vertretung der Interessen der Bürger, Patienten und Versicherten gegenüber den rein gewinnorientierten Interessen der Industrie. Es muss deshalb im allgemeinen Interesse sein, dass die Mitglieder der STIKO und die Leiter der Bundesgesundheitsbehörden RKI sowie PEI frei von Interessenskonflikten agieren können.

Ich gehe davon aus, dass das Bundesgesundheitsministerium bei der Berufung der STIKO-Mitglieder und der Leiter der genannten Behörden die jeweiligen Kandidaten sorgfältig hinsichtlich möglicher Interessenskonflikte geprüft hat.

Unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz bitte ich um Überlassung von Kopien der Originalunterlagen, aus denen die diesbezügliche Überprüfung und ihr Ergebnis hervorgeht. (...)


27. Sept. 2006: Schriftliche Eingangsbestätigung vom BMG. "Sie erhalten so schnell wie möglich Bescheid". Aktenzeichen: Z 13 - 53/15


6. Nov. 2006: Das BMG teilt mir mit, dass sich aus den Unterlagen des Auswahlverfahrens keine Anhaltspunkte für mögliche Interessenskonflikte bei den Leitern des RKI und des PEI ergeben hätten. Die Tatsache sei nicht dokumentiert, weshalb es hier keine Unterlagen  mit dem von mir erbetenen Inhalt gebe.

Bei den im Jahre 2004 berufenen Mitgliedern der STIKO habe die Prüfung auf mögliche Interessenskonflikte im Ausfüllen eines Fragebogens durch jedes STIKO-Mitglied bestanden. Zudem habe jedes Mitglied eine persönliche Erklärung zu den Regeln zum Schutz der Befangenheit sowie zur Verschwiegenheit abgeben müssen (Anlage: Muster des Fragebogens und der persönlichen Erklärung ). Nach Prüfung  der Sach- und Rechtslage hätten sich keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Berufung der vorgeschlagenen Kandidaten ergeben.

Eine Herausgabe der ausgefüllten Fragebögen und des Schreibens über das Ergebnis der Überprüfung setze die Einwilligung der Betroffenen voraus, da es sich um personenbezogene Daten handle. Für das Einholen dieser Einwilligung würden 50 Euro Gebühren anfallen. Ob ich damit einverstanden sei.


11. Nov. 2006: Ich erkläre per Email mein Einverständnis für das Einholen der Einwilligung


30. Jan. 2007: Meine Rückfrage per Email: "Auf mein untenstehendes Schreiben habe ich bisher leider keine Antwort erhalten. Seither sind über zwei Monate vergangen. Bitte teilen Sie mir umgehend mit, welche STIKO-Mitglieder angeschrieben wurden, geantwortet haben und in die Weitergabe der besagten personenbezogenen Daten einwilligten."


3. Feb. 2007: Antwort des BMG per Brief. Das Verfahren sei zwar abgeschlossen, man müsse jedoch noch prüfen, inwieweit man angesichts der erhaltenen Daten meinem Auskunftsgesuch statt geben könne.


7. März 2007: Ablehnungsbescheid des BMG . Zwölf der 17 STIKO-Mitglieder hätten der Herausgabe der verlangten Unterlagen widersprochen. Mein Interesse als Antragsteller auf Offenlegung personenbezogener Daten könne das Interesse der Betroffenen Schutz ihrer personenbezogenen Daten nicht überwiegen.

Auch die Herausgabe der Daten jener fünf Mitglieder, die eingewilligt hatten, sei nicht möglich, um die schutzwürdigen Interessen der Mehrzahl der STIKO-Mitglieder zu wahren. Vielmehr sei die STIKO als Ganzes zu betrachten. Eine einseitige Herausgabe könne dazu führen, dass die restlichen 12 STIKO-Mitglieder in Misskredit gebracht werden, ohne dass dazu objektive Gründe bestünden. Unzulässige Rückschlüsse auf das Vorliegen vermeintlicher Interessenskollisionen seien zu vermeiden. Hier liege eine Fürsorgepflicht des Bundesministeriums gegenüber den STIKO-Mitgliedern vor.

Das öffentliche Interesse, dass die Mitglieder der STIKO frei von Interessenskonflikten agieren können, könne auch ohne Preisgabe ihrer (Neben)- Tätigkeiten an die Öffentlichkeit gewährleistet werden.

Verfassungsrechtlich sei der Schutz persönlicher Daten durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt.

Zudem sei zu berücksichtigen, dass auch das Persönlichkeitsrecht der Familienmitglieder und Angehörigen der STIKO-Mitglieder berührt sei, da sich die Angaben in den Fragebögen auch auf diese Personen erstrecken.

Und zuletzt könne es sein, dass die Unterlagen Rückschlüsse auf Unternehmen zulassen, deren Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berührt sein könnten.

Abschließend weist das BMG in dem Schreiben darauf hin, dass der Bescheid nicht für die Veröffentlichung bestimmt sei. Eine Begründung hierfür wird jedoch nicht angegeben.


Kommentar: 5 von 17 STIKO-Mitglieder waren also laut BMG bereit, die von ihnen gegenüber dem Ministerium angegebenen Interessenkonflikte offenzulegen. Interessanterweise waren laut den davon unabhängigen Recherchen des Ärzteverbandes "Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V." (ÄIIE) 2006/2007 ebenfalls fünf der damals 17 Mitgliedern frei von bekannten möglichen Interessenkonflikten. Sollte dies ein Zufall sein, wäre es immerhin ein bemerkenswerter Zufall. Diese fünf STIKO-Mitglieder laut ÄIIE waren:

Dr. R. Dobbelaer, SIPH, Brüssel
Prof. Dr. H. Idel, Düsseldorf
Prof. Dr. Th. Mertenss, Universität Ulm
Dr. A. Nahnhauer, BKK Essen
Prof. Dr. M. Röllinghoff, Universität Erlangen

Die 12 STIKO-Mitglieder mit laut ÄIIE offensichtlichen möglichen Interessenkonflikten waren:

Prof. Dr. S. Bigl, ÖGD Sachsen
Prof. Dr. U. Heininger, Universität Basel
Prof. Dr. F. Hofmann, Universität Wuppertal
Prof. Dr. C. Hülße, Rostock
Prof. Dr. W. Jilg, Universität Regensburg
Prof. Dr. R. von Kries, Universität München
Dr. J. Leidel (Stellv. Vorsitzender), ÖGD Köln
Dr. U. Lindlbauer-Eisenach, München
Prof. Dr. H.-J. Schmitt (Vorsitzender), Universität Mainz
Prof. Dr. F. von Sonnenburg, Universität München
Prof. Dr. K. Wahle, Universität Münster
Prof. Dr. F. Zepp, Universität Mainz

Prof. Schmitt, Vorsitzender und das STIKO-Mitglied mit den meisten möglichen Interessenkonflikten hat im Jahr 2008 kurz vor einem Fachgespräch im Bundestag, bei dem das Verhalten der STIKO kritisch beleuchtet werden sollte, urplötzlich verlassen und ist heute Leiter der Impfsparte beim Hersteller NOVARTIS!


21. März 2007: Widerspruch durch meinen Rechtsanwalt gegen ablehnenden Bescheid des BMG. Zitat: "Die Wahrnehmung der verantwortungsvollen Tätigkeit in der STIKO setzt zwangsläufig die Gewähr für absolute Integrität und Neutralität voraus. Schon der Anschein möglicher Befangenheit muss vermieden werden. Aus der hohen Bedeutung der Freiheit von Einflüssen, die eine Gefahr möglicher Interessenkollisionen bergen, resultiert das starke Interesse nicht nur der unmittelbar betroffenen Behörden, sondern auch der Öffentlichkeit am Ausschluss von Interessenkollisionen der STIKO-Mitglieder. Dementsprechend tritt deren Interesse am Ausschluss des Informationszugangs hinter das Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurück. Nicht nachzuvollziehen vermag ich des weiteren die Erwägungen, die zum Informationsausschluss auch bezüglich derjenigen STIKO-Mitglieder führen, die in die Herausgabe ihrer Unterlagen eingewilligt haben. Hier steht kein schutzwürdiges Interesse der Informationserteilung entgegen. Ich bitte deshalb nochmals um Überprüfung und Neubewertung."


10. Mai 2007: Zurückweisung meines Widerspruchs durch das BMG. Die Abwägung zwischen dem Interesse der Betroffenen und der Hersteller an einem Schutz ihrer Daten sei bereits in der Entscheidung des BMG berücksichtigt worden. Zu bedenken sei außerdem, dass die Daten bereits zu einem Zeitpunkt erhoben wurden, an dem es noch kein Informationsfreiheitsgesetz gegeben habe und sich die Betroffenen also noch darauf verlassen konnten, dass die angegebenen Daten unbedingt vertraulich behandelt werden. Die ausgefüllten Fragebögen der fünf STIKO-Mitglieder, die zu einer Offenlegung bereit waren, könnten auch deshalb nicht freigegeben werden, da hier Unternehmen genannt wurden, deren Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berührt sein könnten.


 10. Juni 2007: Einreichung der Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln. Aktenzeichen: 28K 2284/07. Das Gericht gibt seine Absicht bekannt, das Verfahren einem Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen. Dagegen erhebt das BMG Bedenken, da es sich um eine Entscheidung zu grundsätzlichen Fragen zur Auslegung des IFG handle. Das BMG bittet um eine Verlängerung der Frist für die Klageerwiderung.


 22. August 2007: Klageerwiderung des BMG. Neuer Aspekt: Mein Interesse in die Einsichtnahme der Berufungsunterlagen dürfte inzwischen wohl erheblich vermindert sein, da die Amtszeit der betreffenden STIKO-Mitglieder am 30. April 2007 endete. Das BMG regt an, die betroffenen STIKO-Mitglieder zu laden.


1. Juli 2008: Das Verwaltungsgericht gibt bekannt, dass die Zuständigkeit für das Verfahren auf die 13. Kammer übergegangen sei. Neues Aktenzeichen: 13 K 2284/07. Der Kläger wird gebeten, zur vorgeschlagenen Ladung der STIKO-Mitglieder Stellung zu nehmen. 


15. August 2008: Das BMG teilt dem Gericht die Adressen der "alten" STIKO-Mitglieder mit. Die letzte Sitzung innerhalb der alten Berufungsperiode sei im Februar 2007 gewesen, in der neuen Zusammensetzung habe sich die STIKO erstmals am 19. Nov. 2007 getroffen. Das BMG bekräftigt seine Ansicht, dass das Interesse des Klägers dadurch wesentlich gemindert sein dürfte. Das BMG verweist auf ein rechtskräftiges Urteil des VG Berlin vom 10. Okt. 2007, wonach sich der Ablehnungsgrund nicht nur auf den Schutz von Hinweisgebern und Informanten beschränke. Aktenzeichen: VG 2 A 102.06.

Da im Zuge der neuen Amtsperiode das Verfahren geändert wurde und die Selbstauskünfte der STIKO-Mitglieder nun auf der Webseite des RKI veröffentlicht werden, sei das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers zwischenzeitlich entfallen. 13 der Mitglieder waren bereits in der alten Berufungsperiode dabei gewesen und mindestens in diesen Fällen dürfte das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers zwischenzeitlich entfallen sein. Eine Beiladung der STIKO-Mitglieder sei durch diese neue Sachlage aus Sicht des BMG nicht mehr erforderlich.


15. Januar 2009: Das BMG übersendet dem Gericht drei Urteile bezüglich anderen IFG-Anfragen des Klägers vor dem Verwaltungsgericht Berlin vom 22. Oktober 2008, wonach die Klagen in allen drei Fällen abgewiesen wurden. Diese Urteile würden die Rechtsauffassung des BMG bestätigen (siehe dazu die Anfragen IFG-003 , IFG-006 , IFG-073 ).


10. Feb. 2009: Stellungnahme des Klägers (Rechtsanwalt): Das Interesse an einer Offenlegung der Berufungsunterlagen auch aus der früheren Amtszeit der STIKO-Mitglieder wird ausdrücklich bekräftigt. Die Anfrage gewinne durch den Weggang des ehemaligen Vorsitzenden Schmitt zu NOVARTIS zusätzlich an Bedeutung. Eine Beiladung der STIKO-Mitglieder wird nicht als notwendig angesehen. Die Relevanz der drei zitierten Urteile sei nichtersichtlich. Im Übrigen seien diese Entscheidungen nicht rechtskräftig, da in allen drei Fällen die Zulassung zur Berufung beantragt sei. Zur Bekräftigung der Position des Klägers werden mehrere Berichte der Fach- und Publikumspresse zitiert, in denen die Entscheidungen und die Unabhängigkeit der STIKO-Mitglieder - zum Teil sehr - kritisch hinterfragt wird. 


Vorläufiges Fazit: Das BMG sieht es als ausreichend an, wenn es aufgrund der Selbsterklärungen der STIKO-Mitglieder zu dem Schluss gekommen ist, dass diese Mitglieder keinen fremden und sachfremden Einflüssen bei ihren Entscheidungen unterliegen können. Eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit sieht es als unnötig an, ihr Interesse - auch angesichts konkreter Vorfälle - als nachrangig gegenüber den Interessen der STIKO-Mitglieder und der betroffenen Firmen. Eine öffentliche Diskussion der Berufungen in die STIKO wird vom BMG nicht erwünscht.

Da 13 Mitglieder der damaligen STIKO auch während der neuen Amtsperiode wieder dabei sind und nun ihre Interessenskonflikte öffentlich auf der Webseite des Robert-Koch-Instituts (RKI) darlegen müssen, stellt sich natürlich die Frage, warum sie immer noch darauf beharren, dass die früher abgegebenen Stellungnahmen geheim bleiben sollen. Dies macht nur dann Sinn, wenn sie unter der Annahme, dass ihre Angaben strengstens vertraulich behandelt werden, wesentlich mehr Angaben gemacht haben, als sie nun öffentlich zugeben. Dies ist jedoch ein zusätzlicher Grund, auf die nachträgliche Offenlegung zu pochen, denn die Vertrauenswürdigkeit dieser Personen wird durch dieses Verhalten entscheidend in Frage gestellt.

Das Verfahren wird aufgrund seiner grundsätzlichen Bedeutung wahrscheinlich bis zur höchsten Instanz fortgeführt werden. Doch jetzt warten wir erst einmal auf einen Termin für die mündliche Verhandlung.


Januar 2010: Meinem Rechtsanwalt fällt ein gravierender Formfehler auf, der zur Folge haben könnte, dass die Richter des Verwaltungsgerichts mein Auskunftsbegehren allein deshalb schon abseisen. Ich habe die Klage deshalb zurückgezogen und dafür die Anfrage in einer präziser formulierter Form neu gestellt.


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