IFG-Anfrage Nr. 138: STIKO-Protokolle 1976-1980

Zusammenfassung

Die Ständige Impfkommission (STIKO) spricht im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums öffentliche Impfempfehlungen aus, die zunehmend Richtliniencharakterhaben. Am 21. Sept. 2015 forderte ich unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) unter anderem das STIKO-Sitzungsprotokoll Nr. 10 aus dem Jahr 1976 an.

Das Robert-Koch-Institut (RKI), an dem die STIKO angesiedelt ist, schwärzte darin die Namen von Vertretern der Impfstoffhersteller, die an der Sitzung teilgenommen hatten.

Wir mussten schließlich klagen. Das Berliner Verwaltungsgericht entschied am 30. Jan. 2018, dass die Namen der Vertreter der Impfstoffhersteller, die an den STIKO-Sitzungen teilgenommen haben, offen gelegt werden müssen. Das Verwaltungsgericht teilt damit die von uns vertretene Auffassung, dass es sich bei den Vertretern der Impfstoffhersteller um Dritte handelt, die in vergleichbarer Weise wie Sachverständige eine Stellungnahme abgegeben haben. Nach § 5 Abs. 3 IFG überwiegt bei solchen Personen in der Regel das Informationsinteresse des Antragstellers das schutzwürdige Interesse des Dritten. Das bedeutet: Unabhängig vom Alter der Sitzungsprotokolle sind die Namen der Vertreter der Impfstoffhersteller, die an STIKO-Sitzungen teilgenommen haben, offen zu legen. (AZ VG 2 K 63.16)

Das (nicht mehr geschwärzte) STIKO-Sitzungsprotokoll, um das es ging.


21. Sept. 2015: IFG-Anfrage für STIKO-Protokolle 1976-1980

5. Okt. 2015: RKI bestätigt den Eingang

8. Okt. 2015: RKI übersendet gewünschte Protokolle mit geschwärzten Textpassagen

Zitat: "Im Protokoll der 10. Sitzung wurden auf den Seiten 2, 12 und 13 die Namen der als Gäste geladenen Vertreter von Impfstoffherstellern unkenntlich gemacht. Grund der Schwärzungen ist der Schutz der personenbezogenen Daten der Betroffenen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 IFG). Falls Sie eine Offenlegung der Namen wünschen, müsste Ihr Antrag insoweit begründet werden (§ 7 Abs. 1 Satz 3 IFG). Die Betroffenen müssten dann von uns nach § 8 IFG in das Verfahren einbezogen werden."

10. Okt. 2015: Anwaltlicher Widerspruch gegen Teilschwärzungen 

Zitat: "Der Schutz der personenbezogenen Daten endet ebenso wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Absatz 1 GG mit dem Tod. Vom Datenschutz umfasst sind daher nur Daten lebender Menschen. Es handelt sich vorliegend um einen Vorgang aus dem Jahr 1976. Es ist daher anzunehmen, dass die auf den Seiten 2, 12 und 13 des Protokolls genannten Gäste (Vertreter der Impfstoffhersteller) bereits verstorben sind und deren personenbezogene Daten keinen Schutz mehr nach § 5 Absatz 1 Satz 1 IFG genießen."

13. Nov. 2015: RKI bittet um Geduld

14. Nov. 2015: Unsere Anwältin setzt dem RKI eine Frist bis 27. Nov. 2015

27. Nov. 2015: Teilabhilfebescheid des RKI

Die Gebühren für die Durchsicht und Schwärzung der Protokolle werden von € 270 auf € 135 halbiert.

Zitat: "Dass die Teilnehmer an der Sitzung im Jahr 1976, deren Namen in dem überlassenen Protokoll geschwärzt wurden, bereits verstorben sind, müssen wir mit Nichtwissen bestreiten." (...) Die Rechtsauffassung, dass der Schutz personenbezogener Daten mit dem Tod des Betroffenen endet, teilen wir nicht. (...) Die als Gäste geladenen Vertreter der Impfstoffhersteller waren nicht als Gutachter, Sachverständige oder in vergleichbarer Weise an der Sitzung beteiligt, sondern als Auskunftspersonen, mithin in einer der Rolle des Zeugen vergleichbaren Stellung. (...) Vor einer abschließenden Entscheidung möchten wir Ihnen hiermit Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme Ihrerseits geben."

Kommentar: Wenn wir die aus meiner Sicht willkürlichen Schwärzungen der übermittelten STIKO-Protokolle akzeptieren, können wir sie bei später angeforderten Protokollen nur noch schwer reklamieren. Wir streben deshalb eine rechtliche Klärung an, bis zu welchem Alter der Dokumente das RKI Passagen schwärzen darf.

22. Dez. 2015: Stellungnahme unserer Anwältin

Zitat: " (...) Es ist daher Aufgabe der Behörde zu überprüfen, wer von den genannten Personen überhaupt noch am Leben ist. Da dem Antragsteller nicht bekannt ist, um wen es sich handelt (Namen geschwärzt!), ist es ihm schlechterdings auch nicht möglich, zu überprüfen, ob es sich um lebende Personen handelt. Ihr Bestreiten mit Nichtwissen ist auf diesem Hintergrund abwegig. (...) Es wird zur Kenntnis genommen, dass das RKI die Auffassung, dass nur die Daten lebender Personen geschützt sind, nicht teilt. Unter diesen Umständen wird das Gericht diese Frage entscheiden müssen. (...) Die Vertreter der Impfstoffhersteller waren in ihrer beruflichen Funktion und nicht als Privatpersonen geladen. Es besteht ein öffentliches Interesse daran zu erfahren, wer für welchen Impfstoffhersteller mit welchen Argumenten den Meinungsbildungsprozess beeinflusst hat."

13. Jan. 2015: Unsere Anwältin mahnt beim RKI die Bearbeitung an

29. Jan. 2015: RKI weist Widerspruch ab

Begründung: Das RKI argumentiert, es seien nur die Namen und die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Unternehmen bekannt. Da die Unternehmen alle nicht mehr existieren, hätte das RKI keine Möglichkeit heraus zu finden, ob die Personen noch leben oder verstorben sind. Außerdem seien nur die Namen geschwärzt. Für welche Unternehmen die Personen aufgetreten seien, sei bekannt, ebenso wie die getroffenen Äußerungen. Ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an den Namen der damals handelnden Bediensteten und Bevollmächtigten bestehe nicht.

Kommentar: Ob die Kenntnis der Namen der Unternehmensvertreter für die Öffentlichkeit relevant ist, kann erst beurteilt werden, wenn man die Namen kennt.

29. Feb. 2015: Klageerhebung

Zitat: "(...) Mit Schreiben vom 10.10.2015 wurde Widerspruch gegen den Bescheid vom 08.10.2015 eingelegt und dieser damit begründet, dass es sich um ein Protokoll aus dem Jahr 1976 handelte, der Vorgang also 39 Jahre zurück lag und deshalb davon auszugehen war, dass die betroffenen Personen bereits verstorben waren und ihre personenbezogenen Daten daher keinen Schutz mehr nach § 5 Absatz 1 IFG genossen.

Hilfsweise wurde in diesem Schreiben darauf hingewiesen, dass nach § 5 Absatz 3 IFG das Informationsinteresse des Antragstellers in der Regel das Interesse am Schutz personenbezogener Informationen überwiegt, wenn der Dritte als Gutachter, Sachverständiger oder in vergleichbarer Weise eine Stellungnahme in einem Verfahren abgegeben hat. (...)"

31. März 2015: Klageerwiderung des RKI

Begründung: Die Unternehmensvertreter hätten zum Zeitpunkt der Sitzung auf Vertraulichkeit vertrauen können und seien zudem keine Gutachter und Sachverständige im Sinne des IFG, da nicht unparteiisch und nicht dem Amtshaftungsanspruch unterliegend.

Kommentar: Nach 40 Jahren immer noch Geheimniskrämerei zu pflegen, ist einfach nur lächerlich – und verstärkt den Verdacht auf tatsächlich vorhandene Interessenkonflikte, die der STIKO bis heute peinlich sind. Es geht hier ja um die empfohlene Medikationen einer ganzen Bevölkerung, und zwar von gesunden Personen, in erster Linie uns anvertraute und besonders schutzwürdige Säuglinge - da ist ein genauses Hinsehen, welche Interessen bei den Entscheidungen Einfluss nehmen bzw. genommen haben, Teil der Nutzen-Risiko-Abwägung. Wir sollten sehr sorgfältig sein, wenn es um Impfempfehlungen geht – und die meisten STIKO-Mitglieder haben ja tatsächlich Interessenkonflikte, wie ihre Selbstauskünfte auf www.rki.de beweisen.

6. Juni 2016: Verwaltungsgericht setzt dem RKI Frist

Das Gericht sieht die Rolle der beteiligten Unternehmensvertreter als Gutachter und Sachverständige im Sinne des IFG und setzt dem RKI eine Frist, dem Auskunftsgesuch stattzugeben oder aber das Bemühen der Behörde zu dokumentieren, die Aufenthaltsorte der Betroffenen ausfindig zu machen, um sie um Stellungnahme zu bitten..

17. Juni 2016: RKI widerspricht dem Gericht "Keine Gutachter oder Sachverständige!"

Das RKI widerspricht der Auffassung des Gerichts, die Unternehmensvertreter seien als Gutachter oder Sachverständige im Sinne des IFG zu sehen. Zudem sei der Aufenthaltsort der Betroffenen heute aus mehreren Gründen nicht mehr zuverlässig zu ermitteln.

13. Juli 2016: Unsere Anwältin widerspricht dem RKI: "Sehr wohl Gutachter oder Sachverständige!"

Zitat: "(...) Expertenwissen beinhaltet nicht nur die von der Beklagtenseite angeführte „methodische Sachkunde“ sondern auch Faktenwissen, das nur einem bestimmten Kreis von mit einer Sache befassten Personen bekannt ist. Die protokollierten Äußerungen der Vertreter der Impfstoffhersteller bestätigen, dass es um das Fachwissen der Impfstoffhersteller ging. (...)"

Weiterer diverser Schriftwechsel um das Thema "Gutachter oder nicht Gutachter im Sinne des IFG."

30. Jan. 2018: Klageerfolg nach schriftlicher Entscheidung der Einzelrichterin

Zitat: "(...) § 5 Abs. 3 IFG bestimmt, dass das Informationsinteresse des Antragstellers das schutzwürdige Interesse des Dritten am Ausschluss des Informationszugangs in der Regel dann überwiegt, wenn sich die Angabe auf Name, Titel, akademischen Grad, Berufs- und Funktionsbezeichnung, Büroanschrift und -telekommunikationsnummer beschränkt und der Dritte als Gutachter, Sachverständiger oder in vergleichbarer Weise eine Stellungnahme in einem Verfahren abgegeben hat. Von der Vorschrift des § 5 Abs. 3 IFG betroffen sind, wie auch der Kontrast zu § 5 Abs. 4 IFG zeigt, externe Personen, deren Fachwissen sich die informationspflichtige Stelle in einem Verfahren bedient hat. In einem solchen Fall tritt der externe Experte gleichsam an die Öffentlichkeit, so dass der Informationszugang eine sachliche Rechtfertigung erhält. Der Dritte wird in vergleichbarer Weise - gemessen am Gutachter bzw. Sachverständigen - tätig, wenn er - unabhängig von der institutionellen Anbindung an die informationspflichtige Stelle - als externer Fachexperte herangezogen wird, um seine Expertise zu nutzen."

Nicht geschwärztes STIKO-Protokoll

Interessantes Urteil: Öffentliches Interesse an Gästeliste eines von der Bundeskanzlerin für einen Bankmanager veranstaltetem Abendessen

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