IFG-Anfrage Nr. 006 "STIKO-Protokolle " / Stand vom 18. Feb. 2009

Herausgabe der STIKO-Sitzungsprotokolle der Jahre 2004 und 2005


Bisher entstandene Anwalts- und Gerichtskosten

So können Sie unsere IFG-Anfragen finanziell unterstützen


Hintergrund
Die „Ständige Impfkommission“ (STIKO) ist ein vom Gesundheitsminister berufenes und am RKI angesiedeltes Experten-Gremium, das öffentliche Impfempfehlungen ausspricht. Die Umsetzung dieser Empfehlungen werden von allen Gesundheitsämtern mit hoher Priorität verfolgt. Nach der letzten Gesundheitsreform sind die STIKO-Empfehlungen von allen Gesetzlichen Krankenkassen  als Pflichtleistung grundsätzlich zu erstatten.

Die STIKO nimmt eine Schlüsselposition für einen milliardenschweren Markt ein. Da die Lobby-Aktivitäten der Hersteller sich verständlicherweise auf solche wichtigen Entscheidungsknotenpunkte konzentrieren, muss ihre Unabhängigkeit, Objektivität und Neutralität in ganz besonderem Maße gewährleistet sein.

Doch die Entscheidungen der STIKO werden in der Öffentlichkeit zunehmend kontrovers diskutiert, ihre Nachvollziehbarkeit in Frage gestellt: Experten mit den falschen Freunden" (SZ 2007); "Transparenz tut not" (A-T 2007); "Gute Verbindungen zu den Herstellern" (SW-Presse 2008); "Unter Anwendungsbeobachtung" (ÄB 2007); "Honorare ohne Nebenwirkungen?" (FR 2008); "Hinweise auf Nebentätigkeiten"  (TDZ 2007); "Gute Verbindungen zur Industrie" (GKV 2006); "Ach wie gut dass niemand weiß..." (IRN 2007); "STIKO-Mitglied macht beim Hersteller Impfwerbung" (IRN 2008); "Kommen die Impfanweisungen aus der Pharmaindustrie?" (WELT 2008); "Geld beeinflusst mein Urteil nicht" (SZ 2008);

Und tatsächlich sind laut einem Ärzteverband bei 12 von 17 Mitgliedern der STIKO zum Teil schwere Interessenkollisionen nachweisbar. Diese 12 STIKO-Mitglieder sind offenbar der Ansicht, dass ihre mehr oder weniger engen Verbindungen zu diversen Herstellern ihr Urteil nicht beeinträchtigen und zeigen damit einen beunruhigenden Mangel an Selbstkritik. Die Fähigkeit zur Selbstkritik ist jedoch die unbedingte Voraussetzung für eine möglichst objektive Herangehensweise an eine Problemstellung. Anne Wilson Schaef, eine bekannte amerikanische Psychotherapeuting und Gesellschaftskritikerin, die ich persönlich sehr schätze, geht in ihren Büchern sogar davon aus, dass "Objektivität eine Illusion" sei.

Da die Sitzungen der STIKO hinter verschlossenen Türen stattfinden, ist es für den Bürger nicht überprüfbar, wie die Entscheidungen zustande kommen und ob Interessenskollisionen dabei eine Rolle spielten. Durch das IFG ergibt sich nun erstmals die Möglichkeit, Einsicht in die Protokolle der  Sitzungen zu nehmen.


26. Mai 2006 - Anfrage an das RKI:
Sehr geehrte Damen und Herren, unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz bitte ich um Zusendung aller STIKO-Sitzungsprotokolle der Jahre 2004 und 2005.


6. November 2006 - Ablehnungsbescheid des RKI
Begründung: Die Herausgabe der Sitzungsprotokolle  würde die Beratungen der Behörde beeinträchtigen, da sie notwendige Vertraulichkeit der Beratungen verletzt würde. Diese Vertraulichkeit schütze insbesondere die freie und offene Meinungsäußerung und Meinungsbildung der Sitzungsteilnehmer. "Die Sitzungsprotokolle dokumentieren den Verlauf der fachlichen Diskussionen, aus denen die STIKO-Empfehlungen hervorgehen. Dabei vertrauen die Sitzungsteilnehmer darauf, dass die Vertraulichkeit der Beratungen, die zudem in der Geschäftsordnung ausdrücklich verankert ist, dauerhaft gewahrt bleibt. Dieses Vertrauen bestünde nicht mehr, wenn die Sitzungsprotokolle einem Herausgabeanspruch unterliegen würden. In diesem Fall wäre der mit der Einrichtung der STIKO verfolgte Zweck, über eine in einem fachwissenschaftlichen Diskurs abgesicherte Expertise zu Fragen der Impfprävention zu verfügen und diese für Empfehlungen zu nutzen, gefährdet."


12. November 2006 - Widerspruch meines Rechtsanwalts:

"(...) Die Tatsache, dass STIKO-Empfehlungen eine wichtige Bedeutung haben, steht der Herausgabe der Protokolle jedoch nicht entgegen, sondern bekräftigt gerade das Interesse der Öffentlichkeit an ihnen. Auch bei den Protokollen handelt es sich um „amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnungen“ im Sinn von § 2 Nr. 2 IFG. Eine Beeinträchtigung von Behördenberatungen erscheint vollkommen ausgeschlossen. (...)"


21. März 2007 - Mahnung meines Rechtsanwalts


30. März 2007 - Das RKI bittet um Bedenkzeit:

"Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt, die o. g. Angelegenheit wirft schwierige rechtliche Fragen insbesondere im Hinblick auf die Reichweite des Schutzes behördlicher Beratungen und den Schutz personenbezogener Angaben der an den Beratungen beteiligten Personen auf, deren Klärung noch ein wenig Zeit in Anspruch nehmen wird. Auf Ihre Schreiben werden wir unaufgefordert schnellstmöglich zurückkommen. Bis dahin danken wir Ihnen für Ihr Verständnis."


8. Mai 2007 - RKI bittet nochmals um Bedenkzeit:

"Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt, die o. g. Angelegenheit erfordert angesichts der Vielzahl betroffener Belange unterschiedlicher Träger noch umfangreiche Abstimmungen sowohl hausintern als auch mit externen Einrichtungen und Personen. Wir bitten daher um Verständnis, dass sich eine inhaltliche Bescheidung noch etwas verzögert. Wir werden unaufgefordert schnellstmöglich darauf zurückkommen."


10. Juni 2007: Parallel wird eine Klage gegen das Bundesministerium für Gesundheit

auf Herausgabe der von den STIKO-Mitgliedern angegebenen Selbstauskünfte eingereicht


 6. Juli 2007 - RKI-Mitarbeiter ruft meinen Rechtsanwalt an:

Man brauche wegen der aufwendigen Abstimmung mit externen Beteiligten noch  weitere Zeit zur Bearbeitung. Das Ergebnis sei offen, aber er gehe davon aus, dass einem Teil meines Auskunftsbegehrens stattgegeben werde.


20. September 2007 - STIKO-Vorsitzender Schmitt wechselt überraschend zu NOVARTIS:

In einem Interview mit der Ärzte Zeitung am 20. Sept. 2007 erklärt Prof. Schmitt - für alle Beobachter völlig überraschend - seinen Austritt aus der STIKO und seinen Wechsel zum Impfstoffhersteller NOVARTIS. Er sei aufgrund der Durchführung von Impfstudien für die Hersteller befangen und könne deshalb nicht mehr Mitglied der STIKO sein.


12. Oktober 2007 - Kleine Anfrage der GRÜNEN an die Bundesregierung:

"Stärkung der Verfahrenstransparenz bei der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut"


17. Oktober 2007 - Die GRÜNEN laden zu einem Fachgespräch in den Bundestag:

Die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lädt für den 12. November 2007 zu einem Fachgespräch im Deutschen Bundestag ein. Eingeladen sind hochkarätige Kritiker der STIKO und auch Vertreter des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-Ba). Dem ursprünglichen Programm zufolge soll die STIKO durch Prof. Schmitt vertreten werden.


30. Oktober 2007 - Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN: Wortlaut


31. Oktober 2007 - Einreichung der Klage beim Verwaltungsgericht Berlin


12. November 2007 - Fachgespräch im Bundestag:

Für alle Beobachter völlig überraschend kommt die Mitteilung der Vertreterin des RKI und STIKO bei einem Fachgespräch der GRÜNEN im Bundestag, dass man die Selbstauskünfte der STIKO-Mitglieder künftig veröffentlichen werde. Die STIKO wird auf dieser Tagung nicht etwa durch eines ihrer Mitglieder, sondern durch eine RKI-Mitarbeiterin vertreten. Prof. Schmitt, der ursprünglich geladen war und wohl auch zugesagt hatte, war nicht erschienen. Die geladenen Fachleute und die Vertreter des G-Ba üben deutliche Kritik an dem Gebaren der STIKO.


15. November 2007 -  Und sie bewegt sich doch: RKI revidiert teilweise Ablehnungsbescheid:

Man übersendet mir die gewünschten Protokolle. Diese sind allerdings teilweise geschwärzt. Betroffen sind die Namen der Sitzungsteilnehmer und sogenannte "Strategiediskussionen".


25. Februar 2008 - Schreiben an das Gericht, dass wir die Klage aufrecht erhalten:

"(...) Generell ist festzustellen, dass ohne die vollständigen Protokolle mit lesbaren Namen und den geschwärzten Textpassagen die Überprüfung erheblich erschwert ist, ob sich die STIKO-Mitglieder bei ihren Empfehlungen wirklich ausschließlich an sachlichen Gesichtspunkten auf der Grundlage einer evidenzbasierten Medizin orientieren (...). Der Unmut der Kritiker bezieht sich vor allem auf die 'Blickdichte' der STIKO (...)."


März 2008 - Erstmalige Veröffentlichung der Selbstauskünfte:

Die Selbstauskünfte der neu berufenen STIKO-Mitglieder werden vom RKI erstmals auf seiner Webseite veröffentlicht.


28. März 2008 - Das RKI beantragt, die Klage abzuweisen

"(...) Soweit der Kläger im Hinblick auf mögliche Interessenskonflikte in der Ständigen Impfkommission (STIKO) "Blickdichte" moniert, möchten wir auf die seit März 2008 auf unseren Internetseiten ... befindlichen ausführlichen Informationen verweisen, mit denen die im Hinblick auf die besondere Bedeutung der STIKO-Empfehlungen ... bereits angekündigten Transparenzmaßnahmen vollzogen sind. (...)"


22. Oktober 2008 - Mündliche Verhandlung  - Abweisung der Klage durch VB Berlin

Die Vertreter des RKI versuchen die teilweise Freigabe der Sitzungsprotokolle als reines Zeichen des guten Willens darzustellen. Man sei dazu eigentlich in keinster Weise verpflichtet gewesen.

Während der Verhandlung kommuniziert die vorsitzende Richterin fast ausschließlich mit den Vertretern des RKI und rät mir von einer Fortführung der Klage ab. Das ist eigentlich unverständlich, denn die grundsätzliche Bedeutung dieser Klage muss ihr bewußt sein.

Das Gericht macht sich die Argumentation des RKI bezüglich der Schwärzungen weitgehend zu eigen und weist die Klage ab.  (AZ: VG 2 A 114/07):

Begründung:

  1. Die Preisgabe der Namen der Diskussionsteilnehmer und der Zugang zu den "Strategiediskussionen" könne die Beratungen der Behörde beieinträchtigen
  2. Der Zugang zu den von ausländischen Behörden gewonnenen Informationen könne sich nachteilig auf "internationalen Beziehungen"auswirken

30. Jan. 2009 - Mein Rechtsanwalt beantragt die Zulassung der Berufung vor dem OVG


Was wir bisher erreicht haben, kann sich sehen lassen:

Auch wenn die Klage in der ersten Instanz abgewiesen wurde, so haben wir bisher doch einiges erreicht:

  1. Öffentliche Kritik und politischer Druck auf STIKO/RKI durch die GRÜNEN und öffentliche Kritik
  2. Veröffentlichung der Selbstauskünfte der STIKO-Mitglieder
  3. Teilveröffentlichung der STIKO-Protokolle

Es scheint, als sei dem bisherigen STIKO-Vorsitzenden Schmitt, der seit vielen Jahren sehr eng mit verschiedenen Herstellern zusammenarbeitet - demnach also schon viel früher seinen Hut hätte nehmen müssen - der Boden unter den Füßen zu heiß geworden. Die offensichtlich fehlende Fähigkeit zur Selbstkritik bei der Mehrzahl der STIKO-Mitglieder lässt es notwendig erscheinen, den Druck aufrecht zu erhalten, um das mögliche Maximum an Transparenz herauszuholen, statt sich auf den (fehlenden) Goodwill der Beteiligten zu verlassen.


22. April 2010: Gütetermin vor dem OVG und Abschluss eines Vergleichs

Ein Argument der Gegenseite, das durchaus erwägenswert erscheint, war, dass auch die Pharma-Lobbyisten durch diese Protokolle die Möglichkeit haben, sich gezielt bestimmten STIKO-Mitgliedern zu widmen, die eine ihnen nicht genehme Meinung vertreten. Letztlich dürfte das jedoch keine Rolle spielen, da zumindest einige der Mitglieder eng mit den Herstellern verbandelt sind.

Es zeigte sich, dass die Durchsetzung der Freigabe der geschwärzten Passagen sich schwierig gestaltet. Ich zeigte mich deshalb mit einem Vergleich einverstanden. Die Gerichtskosten wurden gegeneinander aufgehoben.


Abschließender Kommentar

Neue IFG-Anfragen bezüglich geschwärzer Protokoll-Passagen machen nur dann Sinn, wenn sie gezielt bestimmte Passagen betreffen. Auf diese Weise wäre das RKI - möglicherweise - gezwungen, die Schwärzungen konkreter zu begründen oder eben freizugeben.

Doch wir haben, wie weiter oben beschrieben, bereits einiges erreicht.


Die Durchsetzung des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) gegenüber Bundesbehörden kostet Geld. Bitte unterstützen Sie unsere IFG-Anfragen durch eine Spende an den Verein "Arbeitsgemeinschaft Bürgerrecht & Gesundheit e.V. (AGBUG)". Bitte geben Sie bei der Überweisung das Stichwort "Rechtsfonds" an. Kontodaten

        Weitere Infos

Wir verwenden Cookies!

Datenschutzerklärung

Symposium

Jetzt DVD bestellen:
Abb.

Alle bisherigen Symposien im Überblick

Leseprobe

Kostenlose Leseprobe
anfordern

IFG-Anfragen

Anfragen nach dem Infor-
mationsfreiheitsgesetz
(in Zusammenarbeit mit
AGBUG e. V)

Bücher

Abb.

Abb.

 

Abbildung Buchumschlag

  

Abbildung des Buches

 

Abbildung der Umschlagseite

 

Volltextsuche

impf-report Probeheft

Weißt Du schon das Neueste? Es gibt eine unabhängige Zeitschrift, den "impf-report", und da kannst Du eine Gratis-Leseprobe anfordern. Cool, gell?

Materialien bestellen

Bücher, Schriften, DVDs, CDs,impf-report

Risiken & Nebenwirkungen dieser Webseite

Impressum